Projekthintergrund
Die Erfahrungen vergangener Krisen- und Katastrophenlagen zeigen eine veränderte Kommunikationskultur von einer ausschließlich auf Informationsgewinnung abzielenden hin zu einer interaktiven Kommunikation. Das öffentlich sichtbare Teilen von psychosozialen und vielfältigen sonstigen Bedarfen und Ressourcen der Bevölkerung in sozialen Medien ermöglicht deren Nutzbarkeit im Krisenmanagement. Die Kommunikation wird jedoch zunehmend in privaten Unterhaltungen oder Chat-Gruppen geführt, sodass die bislang üblichen Datenanalysen einzelner Plattformen mit öffentlich zugänglichen Informationen nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind. Zusätzlich erschweren die großen Datenmengen das händische Monitoring, wodurch der systematischen Sammlung und Darstellung von Informationen enge Grenzen im Hinblick auf die Entwicklung eines psychosozialen Lagebildes gesetzt sind. Ein psychosoziales Lagebild stellt für die Entscheidungstragenden der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) systematisch Informationen bereit, die z.B. die Bedürfnisse von Betroffenen und die jeweiligen Ressourcen zur Lagebewältigung abbilden können. In Krisen und Katastrophen werden daher zunehmend auch digital Freiwillige tätig, die sich in Virtual Operations Support Teams (VOST) organisieren, um mit innovativen Methoden lagerelevante Daten aus sozialen Medien zu gewinnen, auszuwerten, zu visualisieren und den Entscheidungstragenden zu übermitteln.
Während die Erforschung sozialer Medien in Krisen und Katastrophen im angelsächsischen Raum bereits eine hohe Relevanz aufweist, existieren bislang nur wenige Arbeiten, die den Fokus auf das Nutzungsverhalten in Deutschland richten. Eine weitere Forschungslücke stellt die Tatsache dar, dass die veröffentlichten Studien überwiegend auf großen Datenmengen beruhen, vielfach jedoch keine Repräsentativität in Bezug auf Alter, Bildung, Einkommen oder Geschlecht abbilden. Zudem sind die Anforderungen an die Entwicklung psychosozialer Lagebilder weitgehend defizitorientiert. Eine Lage kann aber auch Teile der Bevölkerung motivieren, eigene Beiträge zur Krisenbewältigung zu entwickeln. Diese Initiativen sind nicht nur Ausdruck ihrer psychischen Verfasstheit, sondern auch von hoher Relevanz für die Einsatzbewältigung. Mithilfe einer Methodentriangulation und im Rahmen interdisziplinärer Zusammenarbeit sollen die Anforderungen der BOS an die Aufbereitung von Daten für ein psychosoziales Lagebild, etablierte Methoden der VOST zur Analyse sozialer Medien sowie bestehende organisatorische Strukturen des Informationsmanagements erfasst und zusammengeführt werden, um die Bewältigung zukünftiger Lagen zu verbessern.
Projektziele
Die veränderte Kommunikationskultur erschwert den Akteurinnen und Akteuren des Bevölkerungsschutzes zunehmend das zeitnahe Erkennen von psychosozialen Bedarfen und die angemessene Reaktion mit Hilfsangeboten. Zugleich wird auch Identifikation von Selbsthilfefähigkeiten und Ressourcen der Bevölkerung immer schwieriger. Das Ziel von #sosmap ist daher die Entwicklung von sozialwissenschaftlich fundierten Rahmenempfehlungen, die dem staatlichen Krisenmanagement Auswertungsmöglichkeiten sozialer Medien im Hinblick auf psychosoziale Bedarfe und Ressourcen der Bevölkerung in Krisen- und Katastrophenlagen aufzeigen sollen. Zur Vorbereitung der empirischen Arbeiten und zur Einordnung der Forschungsergebnisse in den (inter)nationalen Kontext werden die gesellschaftliche und behördliche Nutzung sozialer Medien in Krisen- und Katastrophenlagen sowie die jeweiligen Nutzungsmotive, -arten und -ziele aufgearbeitet. Mithilfe eines Methoden-Mix aus Datenanalysen, Fokusgruppen, Interviews, Befragungen, Einsatzbeobachtungen und einem Planspiel sollen die Merkmale psychosozialer Bedarfe und Ressourcen in sozialen Medien identifiziert und in einem Methodenhandbuch für die Analyse sozialer Medien zusammengefasst werden, das die Grundlage eines Fort- und Ausbildungskonzepts für psychosoziale Lagebilder bilden soll.